Wednesday, September 16, 2009

DER GROßZÜGIGE BAUMFÄLLER (HELDE PUURAIDUJA) - German version

DER GROßZÜGIGE BAUMFÄLLER
(HELDE PUURAIDUJA)

Friedrich Reinhold Kreutzwald

Vor langer, langer Zeit ging ein Mann in den Wald um Bäume zu fällen.
Er stand neben einer Birke und wollte sie fällen. Als die Birke die Axt sah, fing sie an zu betteln:
“Bitte, lass mich leben! Ich bin sehr jung und habe viele Kinder hinter mir, die über meinen Tod weinen werden.”
Der Mann hörte wie der Baum bettelte und ging weiter zur Eiche. Er fing an, die Eiche zu fällen. Als die Eiche die Axt sah, fing sie an zu betteln:
“Bitte, lass mich leben! Ich bin noch gesund und stark, die Eicheln sind alle unreif und noch nicht bereit besät zu werden. Wie wird die nächste Generation einen Eichenwald haben können, wenn alle meine Eicheln schlecht werden?“
Der Mann hörte wie der Baum bettelte und ging weiter zur Esche. Er fing an, die Esche zu fällen. Als die Esche die Axt sah, fing sie an zu betteln:
“Bitte, lass mich leben! Ich bin noch jung und gestern habe ich meiner zukünftigen Braut einen Heiratsantrag gemacht, was wird die Arme machen, wenn du mich fällst?“
Der Mann hörte wie der Baum bettelte und ging weiter zum Ahorn. Er fing an, den Ahorn zu fällen. Als der Ahorn die Axt sah, fing er an zu betteln:
“Bitte, lass mich leben! Meine Kinder sind noch klein und noch nicht aufgezogen. Was wir aus ihnen werden, wenn du mich fällst?”
Der Mann hörte wie der Baum bettelte und ging weiter zur Erle. Er fing an, die Erle zu fällen. Als die Erle die Axt sah, fing sie an zu betteln:
“Bitte, lass mich leben! Ich muss viele kleine Tiere mit meinem Saft füttern. Was wird aus ihnen werden wenn ich gefällt werde?”
Der Mann hörte wie der Baum bettelte und ging weiter zur Espe. Er fing an, die Espe zu fällen. Als die Espe die Axt sah, fing sie an zu betteln:
“Bitte, lass mich leben! Ich muss meine Blätter auf erschreckende Weise raschelnlassen, um bösartige Kreaturen nachts von ihrem Weg abzubringen. Was wird aus der Welt geschehen wenn du mich fällst?“
Der Mann hörte wie der Baum bettelte und ging weiter zum Kirschbaum. Er fing an, den Kirschbaum zu fällen. Als der Kirschbaum die Axt sah, fing er an zu betteln:
“Bitte, lass mich leben! Ich bin noch am blühen und gebe der Drossel Obdach, so dass sie auf meinem Zweig singen kann. Wo würden die Menschen schöne Vogelgesänge hören, wenn die Vögel das Land verlassen würden, weil du mich fällst?“
Der Mann hörte wie der Baum bettelte und ging weiter zum Vogelbeerbaum. Er fing an, den Vogelbeerbaum zu fällen. Als der Vogelbeerbaum die Axt sah, fing er an zu betteln:
“Bitte, lass mich leben! Ich werde bald blühen und danach werden viele Beeren wachsen. Diese werden wiederum im Herbst und Winter die Vögel füttern. Was wird aus ihnen werden, wenn ich gefällt werde?“
Der Mann hörte wie der Baum bettelte und fing an zu denken: Wenn ich keine Blattbäume fallen kann, dann werde ich mein Glück mit den Nadelbäumen versuchen. Er ging zur Tanne und wollte sie fällen. Als die Tanne die Axt sah, fing sie an zu betteln:
“Bitte, lass mich leben! Ich bin noch jung und stark, ich muss meine Sprösslinge erziehen und muss auch im Sommer und im Winter grün sein, so dass die Menschen Schönheit sehen können. Wo werden sie Obdach finden, wenn du mich fällst?“
Der Mann hörte wie der Baum bettelte und ging weiter zur Pinie. Er fing an, die Pinie zu fällen. Als die Pinie die Axt sah, fing sie an zu betteln:
“Bitte, lass mich leben! Ich muss mit der Tanne zusammen grün sein. Es wäre eine Schande wenn ich gefällt wäre.“

Der Mann hörte wie der Baum bettelte und ging weiter zum Wachholder. Er fing an, den Wachholder zu fällen. Als der Wachholder die Axt sah, fing er an zu betteln:
“Bitte, lass mich leben! Ich bin der größte Schatz des Waldes und ein Glücksbringer für alle, weil ich 99 Krankheiten heilen kann. Was wird aus den Menschen und den Tieren werden wenn ich gefällt werde?“
Der Mann saß auf dem Torf und fing an zu denken:
“Die Fabel ist seltsamer als ein Wunder, jeder Baum hat seine eigene Sprache und bettelnde Wörter, die alle etwas gegen Fällen haben. Was werde ich tun, wenn ich keinen Baum finde, der mich ihn in Ruhe fallen lässt? Das Betteln lässt kein Herz kalt. Wenn ich keine Frau zu Hause hätte, würde ich mit leeren Hände abziehen.“
Plötzlich kam ein alter Mann mit einem langen grauen Bart, einem silbernen Hemd und einem Mantel, der aus der Rinde der Tanne gemacht war, trat aus dem Wald heraus, stand vor dem Mann und sagte:
“Nanu, warum sitzt du hier mit so einem traurigen Gesicht? Hat dir jemand weh getan?
Der Mann antwortete:
“Warum sollte ich nicht traurig sein? Heute Morgen nahm ich die Axt und ging in den Wald. Ich wollte etwas Brennholz fällen und nach Hause bringen. Aber plötzlich merkte ich, dass alles im Wald lebendig ist und jeder Baum seine eigene Gedanken und seine eigene Sprache hat. Sie können alle betteln und mein Herz kann dagegen nicht kämpfen. Ich weiß nicht was aus mir wird, aber ich kann keine lebendige Bäume fällen.“
Der alte Mann schaute ihn mit glücklichen Augen an und sagte:
“Ich danke dir, Bauer, dass du deine Ohren nicht zugemacht hast und dem Betteln meiner Kinder zugehört hast. Du sollst unter deiner Großzügigkeit nicht leiden. Ich will mich revanchieren und werde dafür sorgen, dass du in Zukunft nicht in Not leben muss. Jedes gerettete Kind wird dein Glück sein. Du wirst nicht nur für immer Brennholz haben, sonder dein Haus wird auch ewig gesegnet sein. Deshalb wirst du künftig nur sagen müssen, was dein Herz begehrt und du wirst es bekommen. Jedoch überlege dir, was du dir wünschst. Wünsche jedoch nicht zu groß. Du muss auch deiner Frau und deinen Kindern sagen, dass sie aufpassen müssen, wenn sie sich was wünschen. Die Wünsche dürfen nicht zu schwierig zu erfüllen sein. Sonst wird aus Glück Unzufriedenheit. Also nimm den goldenen Zweig und pass auf ihn auf, als wäre er deine Seele!“

Er gab dem Mann den Zweig und fügte hinzu:

“Wenn du ein Haus bauen willst oder irgendwelche andere nützliche Aufgabe hast, dann geh zum Ameisenhügel und schwing den Zweig dreimal, aber trete nicht gegen den Hügel, weil du sonst die armen Kerle verletzt. Du befehlst was sie zu tun haben und du wirst am nächsten Morgen sehen, dass das Gewünschte fertig ist. Wenn du Essen willst, dann zwinge den Topf das zu kochen, wonach du dich sehnst. Wenn du etwas Süßes willst, dann zeig’ den Bienen deinen goldenen Zweig und lass’ sie arbeiten. Sie werden dir mehr Honig bringen, als deine Familie essen kann. Wenn du Saft willst, dann befehle es der Birke und dem Ahorn. Sie werden deine Befehle sofort befolgen.

Die Erle wird dir Milch bringen, der Wachholder Gesundheit, wenn du es von ihnen verlangst. Fisch- und Fleischgerichte werden jeden Tag vom Topf gemacht, ohne das es notwendig ist lebendige Tiere zu töten. Wenn du Textilwaren aus Leinen, Seide oder Wolle brauchst, dann gib’ den Spinnen einen Befehl und sie werden sie für dich stricken. Auf diese Weise, wird es dir an nichts fehlen sondern du wirst immer genug haben. Das ist alles für dich, da du meinen bettelnden Kindern zugehört hast und sie am Leben gelassen hast. Ich bin ein Waldgeist (In Estland: Vater des Waldes), der über die Bäume wacht.“ Dann verabschiedete sich der alte Mann und verschwand.

Der Bauer hatte eine verärgerte Frau, die schon wie ein wütender Hund auf ihren Ehemann wartete. Und sie wurde noch wütender, als sie ihn mit leeren Händen sah.
Die Ehefrau schrie: „Wo ist das Holz, dass du bringen solltest?“
Der Mann sagte mit ruhiger Stimme:
„Sie blieben im Wald um zu wachsen.“
Die Frau sagte im Zorn:
„Ich wünschte die Zweige der Birke wären zur Ruten geworden und hätten dir den Rücken richtig gezüchtigt!“
Der Mann schwang ruhig den goldenen Zweig und sagte leise, so dass seine Frau ihn nicht hören könnte:
„Dieser Wunsch soll für dich wahr werden!“
Da fing die Frau plötzlich zu schreien an: :
„Aua aua aua! Oh wie schmerzhaft! Aua aua! Es sticht mich bis ins Herz! Aua aua! Vergib’ mir, bitte vergib mir!“
Sie schrie und hoppelte herum, fasste sich an verschiede Stelle des Körpers, wo die Rute sie geschlagen hatte. Als der Mann dachte sie hätte genug Strafe bekommen, sagte er zur Rute sie sollte aufhören.
Nach diesem ersten Versuch stellte der Bauer fest, welch’ ein wertvolles Geschenk der alte Mann ihm gegeben hatte. Er hatte eine alte Scheune im Hof und er beschloss, die Kraft der Ameisen zu prüfen. Er ging zum Ameisenhügel, schwang seinen goldenen Zweig dreimal und schrie:
„Macht mir eine neue Scheune im Hof!”
Am nächsten Morgen, beim Aufstehen sah er, dass die Scheune fertig war.
Es gab keinen glücklicheren Mann auf der Welt als unseren Bauern. Um das Essen mussten Sie sich keine Sorgen mehr machen. Der Topf kochte alles nach Herzenswunsch und brachte die Speisen sogar auf den Tisch. Die Familie musste nur noch essen. Die Spinnen woben die Stoffe, die Maulwürfe pflügten das Feld und die Ameisen säten. Als der Herbst kam, ernteten die Ameisen das Feld. Daher hatten die Leute nichts zu tun. Immer wenn die erboste Frau ihren Mann zu kritisieren anfing oder ihm etwas Böses wünschen wollte, musste sie die Macht des goldenen Zweiges spüren. Hier würden einige Männer seufzen: Oh, ich wünschte ich hätte diesen goldenen Zweig!

Der Besitzer des goldenen Zweiges lebte glücklich, da er sich nie etwas Unmögliches wünschte. Bevor er starb, gab er den goldenen Zweig seinen Kindern und lehrte sie alles was er vom alten Waldgeist gelernt hatte. Wie sie empfindliche Sachen behandeln müssen und warnte sie, Unmögliches zu wünschen. Die Kinder taten wie der Vater es ihnen gesagt hatte und lebten glücklich bis am Ende ihre Lebensende.
Später, in der dritten Generation, erbte den goldenen Zweig ein Mann, der die elterlichen Warnungen ignorierte. Respektlos machte er viele leere Wünsche und der goldene Zweig nützte sich ab. Zuerst verursachten die Wünsche keine großen Schäden, weil es erfüllbare Wünsche waren. Aber der arrogante Mann gab sich damit nicht zufrieden und bald fing er an den goldenen Zweig zu testen, um zu sehen wie mächtig er war und wünschte sich unmögliche Sachen. Deshalb befahl er dem goldenen Zweig eines Tages die Sonne tiefer strahlen zu lassen, da sein Rücken kalt war. Der goldene Zweig machte diesen Wunsch wahr, aber da es eine der unmöglichsten Sachen war, passierte etwas. Sehr heiße Stücke der Sonne kamen und verbrannten den Mann, und mit ihm alle Häuser und Felder. Nichts blieb übrig. Es gab nicht einmal ein kleines Zeichen, dass es dort einmal einen Bauernhof gab. Somit konnte niemand wissen wo der Bauernhof war oder wo man den goldenen Zweig suchen könnte.

Der Sage nach wurden die Bäume von den heißen Stücken der Sonne so erschreckt, dass sie ihre Sprachen vergaßen und sagten nie wieder einen Wort.